In freundschaftlicher Zusammenarbeit mit

Im Gespräch mit der Organistin Iveta Apkalna

Im November 2020 haben Sie auf dem YouTube Kanal der Elbphilharmonie die kurze Konzertreihe „Ivetas Pralinenschachtel“ veröffentlicht. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Die Idee ist schon ein paar Jahre alt. Ich wollte einmal ein Konzert veranstalten, bei dem ein kleines Publikum auch rein physisch Pralinen kosten könnte. Leider habe ich das bis zur Pandemie nicht umgesetzt. Natürlich kann man aktuell viele fantastische Aufführungen von Konzerten und Opern online sehen, aber ich dachte mir, dass die Leute nicht immer die Zeit haben, so lange vor einem Bildschirm zu sitzen. Deswegen wollte ich den Menschen etwas Kleines, Feines, Kurzes, Süßes geben, damit dieser graue Alltag ein wenig farbiger wird. Daher habe ich meine Lieblingsstücke als kleine Pralinenschachtel zusammengestellt und aufgenommen. Dazu habe ich echte Pralinen ausgewählt, die für mich genauso wie diese Musik schmecken.

Ihr Outfit und sogar die Orgelschuhe haben Sie dem jeweiligen Stück angepasst. Was ist eigentlich das Besondere an diesen Schuhen, außer, dass sie auf den Pedalen »Eyecatcher« sind?

Für uns Organisten ist es eine große Herausforderung, die Hände und Füße beim Orgelspiel gleichzeitig zu koordinieren. Man merkt dabei schnell, dass man dies nicht in jedem beliebigen Schuhpaar meistern kann. So müssen wir auf den Pedaltasten fast wie die Tänzer über einen Tanzboden gleiten. Für mich sind ein paar Elemente wesentlich, die ich bei keinem der erhältlichen Orgelschuhe finden konnte. Daher habe ich selbst experimentiert und meine eigenen Schuhe entworfen, die dann ein Schuhmacher aus Lettland aus Ziegenleder handgefertigt hat. Zum Thema „Eyecatcher“: Die Farbe meiner Kleidung und meiner Schuhe passe ich immer der Message an, die ich mit meiner Musik vermitteln möchte. Ich sehe Musik in Farben. Es gibt bestimmte Komponisten, bei denen ich zum Beispiel meine roten Schuhe nie anziehen würde.

Sie pflegen mit der „Königin der Instrumente“ einen respektvollen Umgang, verbeugen sich, bevor Sie am Spieltisch Platz nehmen und Siezen die Orgel in Interviews. In welcher Beziehung stehen für Sie Organist und Orgel?

Jeder Organist hat einen anderen Zugang zum Thema „meine“ Orgel. Das ist eine komplett andere Sache als bei einer Violinistin, die mit der eigenen Violine übt, reist und auftritt. Das ist ihr Instrument, mit dem sie fast schon verheiratet ist. Nur sehr wenige Organisten besitzen eine Orgel, mit der sie auch reisen. Die meisten Organisten, die beispielsweise in einer Kirche agieren dürfen, nennen das Instrument fast immer „meine Orgel“. Ich denke aber vielmehr, diese Orgeln gehören dem Raum, in dem sie stehen. Deshalb entwickle ich innerhalb sehr kurzer Zeit eine respektvolle, und im guten Sinne distanzierte, aber gleichzeitig sehr warmherzige Beziehung zu den Orgeln. Das sind manchmal bis zu 70 Instrumente pro Jahr. Deshalb bleibe ich beim Sie, auch wenn ich zu vielen Orgeln zurückkehre. Die Orgel ist eine Königin, die königlich klingt, königlich aussieht, sich königlich benimmt und mir vor allem nicht gehört. Gleichzeitig bedanke ich mich auf der Bühne bei der Orgel und applaudiere ihr. Denn diese Orgel hat das Konzert mit mir gemeistert und nur durch sie konnte ich dort das Konzert spielen.

Vor Konzerten müssen Sie die Orgeln vor Ort genauestens ausprobieren. Inwieweit ist das „Einregistrieren“ selbst eine Art von Komposition?

Das Einregistrieren ist etwas, was uns von anderen Musikern unterscheidet. Jemand, der Trompete spielt, kann theoretisch in fünf Tagen fünf Konzerte an fünf Orten spielen. Für uns Organisten ist das schlicht und einfach nicht möglich, da wir an jedem Instrument viel Zeit benötigen, um eben die Werke neu zu komponieren. Einfach den Motor anschalten und paar Register auswählen macht noch keine Komposition aus. Das, was Pianisten am Klavier über den Anschlag machen, wie sie die Tasten berühren, an welchen Stellen sie piano oder fortissimo wählen, müssen wir Organisten alles mit der Registerauswahl schaffen. Bei einem Solokonzert (z.B. 2x 45 min mit Pause) benötige ich mindestens acht bis zehn Stunden Vorbereitungszeit, exklusive Üben. Wir Organisten müssen mindestens ein, wenn nicht sogar zwei Tage vor dem Konzert anreisen und meistens nachts in den Konzertsälen proben.

Mit Blick auf Ihre bisherige Karriere ist es erstaunlich, dass Sie mit 15 Jahren erstmals auf einer Orgel spielen konnten. Sie sind in Lettland aufgewachsen, einem Land, das bis 1990 Teil der Sowjetunion war. Wie haben diese politischen Umstände in Bezug auf die Orgel mit hineingespielt?

Seit meinem fünften Lebensjahr habe ich Klavier spielen gelernt, später Klavier und Orgel studiert. In Lettland waren während meiner Kindheit alle Kirchentüren zu. Den Orgelklang kannte ich nur von Schallplatten. Im Dom in Riga gibt es eine sehr berühmte Domorgel der Firma Walcker, von deren Existenz ich natürlich wusste, sie aber vor der Wende nie live erleben konnte. Ich war 15 Jahre alt, als Lettland unabhängig wurde. Erst dann habe ich erfahren, dass mein Großvater und mein Urgroßvater beide Organisten waren. Das hat mir in meiner Kindheit niemand erzählt, damit ich mich in der Schule nicht verplappere. In meiner Stadt wurde dann das Fach Orgel an der Musikschule gegründet und ich war dort die erste Orgelschülerin. Nach ein paar Monaten durfte ich bereits vor einem kleinen Publikum, darunter mein Großvater, spielen. Sie können sich vorstellen, was das für ihn, aber auch für mich bedeutet hat. Im Jahr 1993 wurde ich auserwählt, den Gottesdienst von Papst Johannes Paul II. als Organistin im Dom in Riga zu begleiten. Das war ein ganz besonderes Erlebnis und es prägt mich bis heute.

Sie wurden 2005 als erste Organistin mit dem Echo Klassik (heute Opus Klassik) als „Instrumentalistin des Jahres“ ausgezeichnet. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?

Von allen Preisen, die ich davor oder auch danach bekommen habe, ist der Echo fast der Wichtigste. Die Auszeichnung war nicht nur für mich ein Zeichen dafür, dass ich auf dem richtigen Weg bin, sondern auch für die Orgel enorm wichtig. Bis dahin wurde die Orgel als Konzertinstrument kaum ernst genommen. Die CD, mit der ich nominiert wurde, entstand kurz nach meinem Studienabschluss im Sommer 2003 in Stuttgart und wurde von einem kleinen, eher unbekannteren Ein-Mann-Label aufgenommen. Neben großen etablierten Künstlerinnen wie Hélène Grimaud und Anne-Sophie Mutter beim Echo für dieselbe Kategorie nominiert zu werden, war ein positiver Schock. Zuerst dachte ich, dass da ein Fehler passiert sein muss. Rückblickend hat mir der Echo Klassik in vielem geholfen.

Schlagzeilenverdächtig war auch, dass Sie als erste Organistin in der Vogue erschienen sind. Wie ist es denn zu diesem Projekt gekommen?

Das war eines meiner ersten professionellen Stylings überhaupt. Die Gelegenheit dazu bot sich dank meiner ersten CD- Aufnahmen, die von Musikkritikern gut bewertet wurden. Das hat eine mediale Resonanz geschaffen. Es tat wirklich gut, dass nicht nur Medien, die etwas mit Musik zu tun haben, plötzlich über Orgelmusik berichten wollten. Das war eine große Chance für die Orgel. Natürlich hat die Vogue damals auch geholfen. Ich weiß noch, dass in dieser Zeit viele Leute nach dem Konzert zu mir zum Signieren gekommen sind und erzählt haben, dass sie wegen des Vogue-Artikels zum ersten Mal in ihrem Leben in ein Orgelkonzert gekommen sind.

In diesem Jahr ist die Orgel durch die Ernennung „Instrument des Jahres 2021“ etwas wichtiger als sonst. Sie übernehmen auch u.a. die Schirmherrschaft und sind mit eigenen Projekten involviert. Was erhoffen Sie sich für die Orgel?

Mir ist wichtig, dass wir dem jüngeren Publikum die Augen und Ohren für die Königin aller Instrumente öffnen, die Orgeln allen zugänglich machen und Aufmerksamkeit und Neugier auf dieses Instrument schaffen. Die erhöhte mediale Präsenz hilft sicherlich dabei. Allerdings ist die Orgel aber in keiner schlechten Position, weil ich in den Orgelkonzerten zunehmend jüngeres Publikum bemerke. Es gibt ganz viele Projekte, bei denen jüngere Organisten den jungen Menschen die Orgel präsentieren. Wir sind auf einem guten Weg.

Das Interview führte Marion Lutsch im Rahmen des Projekts „Programmheftgestaltung“ von Spielfeld Klassik in Kooperation mit dem Institut für Musikwissenschaft der LMU München.